AKP nach Erdogan: Gül ist die erste Alternative aber nicht die einzige

02.08.2014 aljazeera.com.tr
Übersetzt von: Gülçin Wilhelm /
Orjinal Metin (tr-29.07.2014)

Die Ansicht, wonach Gül im Falle Erdogans Präsidentschaft die idealste Alternative sei, festigt sich immer mehr. Diese Aussicht dürfen wir jedoch nicht als gegeben ansehen.

Das Gespann Erdogan/Gül hat die eine oder andere heikle Phasen durchlebt. Es lohnt sich, einige hiervon ins Gedächtnis zu rufen:

-  Gül hatte sich seinerzeit auf die Seite der „modernistischen“ Bewegung unter Führung von Erdogan geschlagen, die in der Refah Partisi (Wohlstandspartei) als Alternative zu dem „traditionalistischen“ Flügel um Necmettin Erbakan agierte.
-  Als Gül auf dem Kongress der Fazilet Partisi (FP, Tugendpartei) gegen Recai Kutan als Kandidat von Modernisten antrat, hatte Erdogan ihm die stärkste Unterstützung gewährt.
-  Nach dem Verbot der FP hatten Erdogan und Gül gemeinsam mit Bülent Arinc sowie Abdüllatif Sener die Adalet und Kalkinma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung – AKP) gegründet.
-  Da Erdogan mit Politikverbot belegt worden war, musste Gül nach den Wahlen 2002 die Regierung bilden.
-  Ohne zu zögern überliess Gül sein Amt Erdogan, als der nach Aufhebung des Politikverbots zum Abgeordneten gewählt worden war.
-  Erdogan rief „mein Bruder Abdullah Gül“ als er 2007 dessen Kandidatur zum Staatspräsidenten bekanntgab.

Das Verhältnis zwischen den beiden Weggefährten verlief allerdings keineswegs immer so reibungslos. Nach dem überwältigenden Wahltriumph der AKP favorisierte Erdogan jemand für den Präsidentenpalast, der weniger profiliert war als Gül. Zudem sollte sich der Neue nicht mit der Armee anlegen. Gül gab jedoch nicht nach und wurde Präsident mit den Stimmen der AKP-Abgeordneten.
Zur größten Krise zwischen Gül und Erdogan kam es infolge der auf Initiative der AKP eingeführten Neuregelung, welche einer erneuten Kandidatur des Staatspräsidenten einen Riegel vorschieben sollte. Ahmet Sezer, der Sprecher des Staatspräsidenten, teilte mir im Juli 2012 in einem Interview mit, Äußerungen aus den höheren Parteiriegen während der Vorbereitungsphase des Gesetzes hätten bei Gül für Unmut gesorgt. (Der Staatspräsident dürfte noch mal kandidieren, oder? - Interview mit Ahmet Sezer, dem Sprecher des Staatspräsidenten/1793)
Hätte das Verfassungsgericht die Neuregelung auf Antrag der Cumhuriyetci Halk Partisi (Republikanische Volkspartei – CHP) nicht für nichtig erklärt, läge Güls politisches Schicksal nun im großen und ganzen in den Händen von Erdogan. So erweiterte die Möglichkeit einer zweiten Kandidatur Güls Handlungsspielraum.

Die idealste Alternative
Seither ist jedoch festzustellen, dass Erdogan nahezu die einzige Autorität besitzt. Da sich dieser auf die Fragen wer im Falle seiner Präsidentschaft den Partei- bzw. Regierungsvorsitz übernähme oder was aus Güls politischer Laufbahn würde, äußerst wortkarg gibt, bekamen wir keine Antworten dazu. Gül unterstrich hingegen die Tatsache, dass er seinen eigenen Weg bestimmen wird, indem er am 8. April in Kütahya sagte: „Im Rahmen heutiger Bedingungen habe ich keine politischen Pläne in Bezug auf die Zukunft.“ Und diese Erklärung änderte den Verlauf der Debatte über die Zukunft der AKP nach Erdogan. 
Dass Gül mit „heutigen Bedingungen“ die Bestrebung Erdogans nach einer die Grenzen des Präsidentschafts- oder semi-präsidentiellen System ausreizenden aktiven Präsidentschaft sowie seinen eigenen Wunsch nach Partei- oder Regierungsvorsitz meinte, war doch offensichtlich. Gül, der kein Interesse an einem Konflikt mit Erdogan und ebenso wenig daran hat, ein profilloser Ministerpräsident zu werden, half diesem aus, indem er frühzeitig verkündete, dass er nicht dabei ist. Nach einer Weile jedoch stellte sich heraus, dass er mit dieser Äußerung im Grunde sich selbst ausgeholfen hat. Dem Vernehmen nach bemühen sich zusätzlich zu seinen Unterstützern in der AKP zahlreiche andere (unter ihnen auch enge Vertraute von Erdogan), Gül von seinem Entschluß abzubringen. Denn man hat Angst, dass die AKP 2015 und bei den folgenden Wahlen eine Niederlage erleidet. Dieser Sorge gründet sich auf den Gedanken, dass Erdogan – auch wenn er sich alle Mühe geben würde - vom Präsidentenpalast aus die Partei und die Regierung nicht ausreichend im Griff haben werde. So verbreitet sich die Meinung, dass Gül die idealste Alternative ist für die AKP nach Erdogan.
Andererseits werden sich einige führende Persönlichkeiten der AKP angesichts der Drei-Legislaturperioden-Regelung in der Satzung – zumindest vorerst - zurückziehen müssen. Selbst bei einer Satzungsänderung traut man jenen, die gleichzeitig mit Gül im Gespräch sind, keine integrierende Wirkung zu.
Dass Gül die „erste“ Alternative ist, bedeutet allerdings keineswegs, dass er die „einzige“ ist. Sollte Erdogan beim ersten Wahlgang Erfolg haben, könnte er mit dem Selbstvertrauen des Siegers Wege gehen, die Gül außen vor lassen – auch wenn dies Gefahren birgt. Eine Stichwahl würde wiederum Erdogan dazu bewegen, keine Risiken einzugehen und Gül in die Partei einzuladen. Dass Erdogan im Falle seiner Präsidentschaft in bezug auf die Partei wie auch bei der Zukunft Güls das Sagen haben wird, bedeutet nicht, dass er Gül alles vorschreiben kann. Seine langjährigen Weggefährten werden sich also über die Bestimmungen der neuen Periode einigen müssen, bevor der Wechsel stattfindet.

Was, wenn Gül nicht mehr in die Partei zurückkommt
Es wäre abwegig, das Verhältnis zwischen Erdogan und Gül aus der Perspektive eines „Machtkampfes“ zu bewerten. Obwohl Gül hinsichtlich kritischer Themen nie Entscheidungen getroffen hat, die seine Partei in die Bredouille brächten, hat er insbesondere seit 2010 in punkto Grundrechte und Freiheiten, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltentrennung sowie Beziehung zum Westen andere Positionen bezogen als Erdogan. Die Differenzen kamen im Zuge der Gezi-Proteste beziehungsweise in der Periode vom 17.-25. Dezember deutlicher zutage. Die Tatsache, dass Gül die Gezi-Proteste in keiner Weise als eine globale Verschwörung ansah, zu Dialog und Einigung mit den Aktivisten neigte, später die Veruntreuungs- und Korruptionsvorwürfe nicht als ein Komplott ansah und diese nicht kategorisch ablehnte und nicht zuletzt an der Kampagne gegen die Gülen-Sekte nicht aktiv teilnahm, irritierte Erdogan zusehends. Im diesem Zusammenhang war zu beobachten, dass einige regierungsnahe Journalisten Kommentare veröffentlichten, die Gül nicht sehr zuträglich waren. (Es ist ein offenes Geheimnis, dass seit 2010 einige AKP-Politiker, einige Berater von Erdogan und einige Journalisten sich davor fürchten, dass Gül in der Partei Erdogans Nachfolger wird).
Deshalb sollte im Falle der Staatspräsidentschaft Erdogans und eines Wahlsieges der AKP bei den nächsten Parlamentswahlen ein Regierungsvorsitz von Gül nicht als gegeben angesehen werden. Zudem verfügt niemand über handfeste Beweise darüber – wie seit rund vier Jahren und in letzter Zeit verstärkt gemunkelt wird – dass Gül seine eigene Partei gründet.
Als jemand, der seit den allgemeinen Wahlen 1991 den Werdegang von Abdullah Gül beobachtet, bin ich nicht der Ansicht, dass dieser eine gegen Erdogan konkurrierende Partei gründen wird. Ich bin eher der Meinung, dass er vorziehen würde, sich nicht mehr politisch zu betätigen, zumal aus gut informierten Kreisen zu hören ist, dass seine Familie deswegen auf ihn einredet.
Sollte Gül sich zurückziehen, würde das nicht heißen, dass er die Politik ganz aufgibt. Er wird sicherlich im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, sollte die AKP nach Erdogan 2015 bei den Wahlen von den Wählern enttäuscht werden.




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